Mit dem TÜV verhält sich das in etwa wie mit dem eigenen Haus.
Man kann praktisch herumfahren, mit allem, was einem schön und richtig
erscheint. Dazu zählen auch Scheibenwischer, die vom Beifahrer mit
einem Gummiband hin- und her gezogen werden oder knatternde Auspuff- und
Musikanlagen (im offenen Kofferraum) bei denen einem die Bässe glatt
die Ohren vom Kopf fegen. Alles ist möglich, fast alles erlaubt. Viva
la Liberdad viva Paraguay!
Auch ist den Einheimischen die freie Berufsausübung wichtig, denn jeder
muss gucken wie er im Leben zurecht kommt. Also kann man ohne jegliche Ausbildung
oder fachliche Kompetenz jeden beliebigen handwerklichen Beruf ergreifen.
Wichtig ist, dass man Freude am Job hat und damit auch etwas Geld verdient.
Heute Friseur, morgen Automechaniker, übermorgen Busfahrer. Nix Berufschule,
nix Ausbildung. Dem schönen Wort "Fachkräftemangel"
kommt hier also eine völlig andere Bedeutung zu...
In Paraguay ist das alles möglich. Oft zum Leidwesen der eingewanderten
Frischlinge, wenn die merken, dass der Dachdecker-Spezialist eigentlich
nur der Schwager des neuen Gärtners ist, der nun endlich wieder bei
Ihnen etwas Geld verdient. Oder wenn man am Ende sieht, dass die Autowerkstatt
überhaupt keine Geräte hat, um die Elektronik des Wagens wieder
herzurichten. Tja, wo Licht ist, da gibt's halt immer ein bisschen Schatten
auch das ist Paraguay! Aber mit diesem Schatten lässt sich's
recht gut leben, im immergrünen Herzen Südamerikas.
Dennoch: in diesem Garten der Welt herrschen weder Anarchie, noch Chaos
oder Selbstjustiz, sondern man setzt auf mehr persönliche Verantwortung
des Einzelnen. Kaum jemand haut über die Stränge, denn in der paraguayischen
Mentalität steht das Menschliche im Vordergrund; die Familie, die Freunde
– und das umgängliche Miteinander. Neid und Konkurrenzdenken hat der liebe
Gott beim Verteilen in Paraguay – dem Himmel sei Dank! – glatt vergessen.
Die Paraguayer
Die meisten Stämme waren extensiven Ackerbau betreibende Halbnomaden. Im Gran
Chaco leben auch heute noch verstreut einige wenige Indianerstämme, die als
Jäger und Sammler umherschweifen. Nichts beunruhigt den Paraguayer wirklich.
Die Geschichte hat die Menschen gelehrt, dass sich letztlich doch alles irgendwie
zum Guten wendet, warum also soll man sich über ein von Gott gegebenes Schicksal
aufregen ...?
Was zählt, das ist man selbst, die Familie, die Menschlichkeit, der Stolz (den ein anderer beser nicht verletzen sollte), das überschaubare eigene Umfeld, die kommende Ernte und vielleicht noch das Wetter von morgen.
Mit dieser lebensbejahenden Einstellung durchlebte das Volk alle Höhen und
Tiefen der unterschiedlichsten Regierungsformen. Und bis heute hat sich daran
nicht viel geändert. Leben und Leben lassen, heißt die Devise. Man neidet
dem anderen nichts, Probleme werden mit Gelassenheit diskutiert und man wartet
– wenn es einmal ganz dick kommen sollte – einfach bessere Zeiten ab. Um es
auf einen Nenner zu bringen: Man lebt um zu leben, nicht, um sich für andere
abzurackern oder um sich über sie zu ärgern...
In mehr als 200 Jahren hat diese Philosophie ein Volk von Selbständigen geschaffen,
das sich bis in die anspruchsloseste Hütte immer irgendwie selbst ernähren
konnte bzw. kann. Da die sozialen Leistungen in Paraguay noch bis vor einigen
Jahren gleich Null waren, bildete dieses Überlebensprinzip von jeher auch
das Fundament politischer und wirtschaftlicher Überlegungen. Bis auf sehr
wenige Ausnahmen ist daher jede Art von freiem Handel und Betätigung in Paraguay
erlaubt. Selbständigkeit wird nicht – wie beispielsweise in Deutschland –
drastisch reglementiert und strengstens überwacht, sondern gefördert oder
toleriert.
Wer Friseur werden möchte, wird es; wer eine Autowerkstatt eröffnen will,
wer sich zum Bäcker berufen fühlt oder am Straßenrand selbstgebrutzelte Würstchen
verkaufen will, der tut das einfach. Ist man gut, dann bleiben einem die Kunden
treu. Werden aus den ersten Dauerwellen beim Friseur vermurkste, stumpfmatte
Haarkringel, kommt die Kundin nicht mehr wieder oder sie verklagt den Übeltäter
– so einfach ist das! Und dieser einmaligen Betriebsamkeit, die überall geduldet
wird weil sie die Staatskassen erheblich entlastet, begegnet man in Paraguay
auf Schritt und Tritt.
Fast immer wird man in Paraguay auf ausgesprochen hilfsbereite, aufgeschlossene
und fremdenfreundliche Einheimische stoßen. Selbst die Bauchladenverkäufer,
die dem Touristen gerne ihre falschen Rolex- oder Cartieruhren verkaufen
wollen, sind in der Regel nicht aufdringlich. Ein freundliches Kopfschütteln
oder ein »no gracias« genügen und sie schauen sich schon wieder nach
dem nächsten Kunden um.
Ein ausgedehnter Bummel über den riesigen »Mercado cuatro«, einem
Markt, der in nichts den großen asiatischen und arabischen Märkten nachsteht,
oder der Besuch des Botanischen Gartens in Asunción, wo im Sommer Losverkäufer,
Zocker, Folkloregruppen und Besucher einträchtig vor einer atemberaubenden
Kulisse tropischer Pflanzen zusammenstehen, zeigt das wirkliche Paraguay.
Jenes Land nämlich, wo ein fröhliches, lebensbejahendes Volk in pulsierenden
Städten und wunderschönen weiten Landschaften mit Fleiß, Ideenreichtum und
einer beeindruckenden Flexibilität zu improvisieren versteht, um aus jeder
Situation das Beste zu machen.
Paraguay, das ist nicht die Politik, das sind nicht die Präsidenten und
es ist nicht die jeweilige wirtschaftliche Lage des Staates, wie man das
unserer deutschsprachigen Heimat kennt. Paraguay, das sind einzig und allein
die Menschen, die in diesem exotischen Land leben, um dort jeden einzelnen
Tag ihres Daseins zu genießen – eine Fähigkeit, die den gestressten Europäern
irgendwann in den vergangenen Jahrzehnten leider verloren ging...